WETTBEWERB PHYSIKINSTITUT ADLERSHOF/BERLIN

Architekturspezifisch formuliert stellt sich die Frage: Wie viel Programm kann ein Gebäude aufnehmen, ohne daß es im Sinne von Rem Koolhaas "eigenschaftslos" wird. Rem Koolhaas hatte ja dies gerade 1995 in seinem Artikel  bildhaft ausgemalt. Und auch in seinem Aufsatz geht es um das Wechselverhältnis von Programm und Form, wobei er feststellte, daß die Form vernachlässigbarer wird, je größer das Programm wird . Der Wolkenkratzer letztlich ist nur noch eine Hülle, die das Programm birgt, und die je nach Geschmack verziert werden oder als Glasschachtel stehen bleiben kann. Stadt löst sich - so schon Rem Koolhaas' Vorhersage in - in formlose Programme auf. Andererseits ist Rem Koolhaas sich bewusst, daß er, sobald er als Architekt arbeitet, sich in einer seltsamen Schleife befindet:

"Es ist in der Tat schizophren. Unsere Arbeit ist ein Kampf gegen die Architektur in Form von Architektur" (Arch+117, S.25). 

Um diesen Kampf trotzdem führen zu können, entwickelt Koolhaas für jedes neue Projekt ein eigenes nicht-architektonisches Programm, welches ihm die Möglichkeit und Freiheit gibt, die anderen Programme an dieses freigewählte Programm zu binden. Die Formentscheidungen werden also aufgrund des ersten Leit-Programms (Ersatz-Programm, Substitutions-Programm) gefällt: 

"Zu Beginn fast jedes unserer Projekte gibt es eine verbale Definition, ein geschriebenes  Konzept, einen Text zur Definition der Intention oder des Themas und erst in dem Moment, wo das sprachlich formuliert ist, können wir beginnen, über Architektur nachzudenken. Die Worte befreien den Entwurf. Unsere besten und originellsten Projekte entstehen aus einer eher literarischen Konzeption heraus, aus der sich dann das gesamte architektonische Programm ableitet" (ARCH+117, S.33). 

So wie die Pop Art sich ihr Programm, nämlich sich auf andere Programme einzulassen, frei gewählt hat, so ist das Leitprogramm bei Rem Koolhaas auch relativ unabhängig von der Entwurfsaufgabe und den darin enthaltenen Programmen, d.h. es wird nicht durch eine Analyse der Entwurfsaufgabe gewonnen. Das Leit-Programm ist also nichts anderes als eine Entwurfsstrategie, die speziell für dieses Projekt vom Entwerfenden gesetzt wird.

 

Ornamentales Entwerfen entwickelt Leitprogramme, die so lange wie möglich formal bleiben. Ausgangspunkt ist also eine Form, d.h. eine Gebäudeform, Städtebauform, Straßenform etc., aus der durch Morphogenese eine neue Form entwickelt wird. Wie bei der Morphogenese des Ornaments oder des Kunstwerkes, ist die Wahl der ersten Form willkürlich - aber für alle weiteren Formentscheidungen bindend. Nach Hannes finden sich vielleicht "erst am Ende die Worte für den Anfang" (Böhringer 1990,S.33). Aber diese erste Entscheidung bezieht sich immer auf ein sinnlich wahrnehmbares Phänomen im Nahbereich des Planungsgebietes. D.h. die Ausgangsoperation der Morphogenese ist das Zitieren einer Form. Da aber bestehende Formen schon immer konnotiert sind, bleibt das Formenspiel nicht selbstreferentiell, sondern versetzt mit ihm die Konnotationen - und damit den Sinn - in eine spielerische Bewegung. Für den Entwurf des Physikinstituts wurde nun als Formenzitat das Photonikzentrum von Sauerbruch/Hutton gewählt.  

Da diese Website durch ein Remix-Verfahren gebildet wird, besteht nun die Möglichkeit retrospektiv herauszuarbeiten, warum zur Zeit des Entwerfens im Januar 1998 diese amöbenförmigen Gebäude solch eine Faszination ausgeübt haben, daß sie als formaler Ausgangspunkt für den Entwurf gewählt wurden.