"Descartes´ Buch liegt auf meinem Schreibtisch zusammen mit vielen anderen Büchern, dazwischen Zettel und Papiere mit Stichworten und Skizzen. Der Platz zum Schreiben wird enger und enger. Ich muß den Schreibtisch aufräumen. Die Bücher stapeln sich zu Türmen und Mauern und schließen die Schreibfläche, das weiße Blatt Papier, in ihrer Mitte ein. Architektur ist Festungsarchitektur, Fortifikation, firmitas: Festigkeit die erste Kategorie der Architekturtheorie. Befestigen, stärken, armieren aber kann man nur das, was schon da ist. Was ist am Anfang da? Eine vage, unbestimmte Vorstellung. Klar und distinkt muß sie erst werden. Am Ende finden sich die Worte für den Anfang. Ihre Klarheit aber droht, die in der Unbestimmtheit verborgene Universalität zu verschütten. Man versucht die Aporie des Anfangs zu überspringen, indem man irgendwo anknüpft. Als bloße Fortsetzung bricht der Anfang bald zusammen. Dieser Zusammenbruch planiert erst den Grund zu einer Fläche, zu einer tabula rasa, auf der etwas Neues entstehen kann. Aber sie bedarf der Befestigung an den Rändern.  Die cartesianische Epoche, das Innehalten gegenüber allen ungeprüften Meinungen, braucht die Stärkung durch eine "provisorische Moral", den Meinungen der Besonnensten vorläufig zu folgen (Discours III 1f.). Die Skizze, die Projektion von etwas Neuem, benötigt die Fortifikation durch Altbewährtes. Das Neue braucht das Alte als Schutz, unter dem es entstehen kann, und als Hemmnis, gegen das es sich durchsetzen muß. Die Büchertürme auf meinem Schreibtisch werden auf- und abgebaut. Manche Bücher bleiben lange auf ihm liegen. Die Tischplatte ist nie ganz leer. Sie darf aber auch nie ganz voll werden. Die Festung erdrückt leicht, was sie stärken soll. Festungsarchitektur ist auch immer Gefängnisarchitektur. Und die Zeichnung, die in ihrer Mitte entsteht, ist nicht nur der Fluchtplan, dem alten Gefängnis zu entkommen, sondern auch die Skizze zum Bau einer neuen Festung, eines besseren Gefängnisses. Wenn aber die eigene Festung aber Gefängnischarakter annimmt, muß man in sie eine Bresche schlagen und einen Ausfall wagen. So entflieht Descartes den vielen Büchern seiner Studierstube und geht auf Reisen" [5:33/34].