NIKLAS LUHMANN
DIE KUNST DER GESELLSCHAFT 

"Unter dem Titel "Die Kunst der Gesellschaft" setzt dieses Buch eine Reihe von Publikationen fort, die als Ausarbeitung einer Theorie der Gesellschaft geplant sind. Die Einleitung zu dieser Serie ist unter dem Titel "Soziale Systeme" 1984 erschienen. Da das Gesamtwerk seinen Schwerpunkt in Theorien haben soll, die sich mit den einzelnen Funktionssystemen befassen, erschien mir deren Ausarbeitung als vordringlich. Denn die Gesellschaftstheorie selbst benötigt zwei verschiedene Zugangsweisen, nämlich die These einer operativen Schließung des Gesamtsystems auf der Basis von Kommunikation und die These, daß die Funktionssysteme, die sich in der Gesellschaft bilden, an operative Schließung anschließen, dieses Prinzip für sich selbst realisieren müssen und eben deshalb bei aller Sachverschiedenheit vergleichbare Strukturen aufweisen werden. Vergleiche gewinnen ihre Überzeugungskraft eben daraus, daß die verglichenen Bereiche in allen anderen Einsichten verschieden sind, so daß das Vergleichbare auffällt und mit besonderer Bedeutung aufgeladen wird. Dies kann jedoch nur in einer Analyse der einzelnen Funktionssysteme gezeigt werden. Bisher sind erschienen: Die Wirtschaft der Gesellschaft (1988), Die Wissenschaft der Gesellschaft (1990) und Das Recht der Gesellschaft (1993).  Der jetzt vorgelegte Band ist der vierte in dieser Serie. Weitere sollen folgen" (Luhmann 1995,S.7).

GELESENES     Kontextualisierung

"Wenn dies Programm am Beispiel von Kunst durchgeführt werden soll, erfordert das theoretische Vorgaben, die nicht aus einer Beobachtung von Kunstwerken herausgezogen werden können, gleichwohl aber am kommunikativen Gebrauch von Kunstwerken nachgewiesen werden müssen. Wir werden Unterscheidungen wie System/Umwelt, Medium/Form, Beobachtung erster und zweiter Ordnung, Selbstreferenz und Fremdreferenz und vor allem: psychischer Systeme (Bewusstseinssysteme) und so­zialer Systeme (Kommunikationssysteme) benutzen, die nicht dazu bestimmt sind, bei der Beurteilung oder bei der Herstellung von Kunstwerken zu helfen. Es geht also, was Kunst betrifft, nicht um eine hilfreiche Theorie. Damit soll nicht ausgeschlossen sein, daß das Kunstsystem in seinen eigenen Operationen davon profitieren kann, ein Theorieangebot zu erhalten, das Kontext und Kontingenz der Kunst gesellschaftstheoretisch zu klären versucht. Aber ob eine solche Umsetzung gelingt und durch welche Missverständnisse sie beflügelt werden kann, muss im Kunstsystem selbst entschieden werden. Denn "gelingt" kann hier nur heißen: "als Kunstwerk gelingt". Es geht also nicht darum, eine Theorie anzubieten, die, wenn sie nur richtig verstanden und angewandt werden würde, dem Kunstsystem Erfolge garantieren oder ihm gar aus den gegenwärtigen Zukunftssorgen heraushelfen könnte. Denn auch dies ist eine Konsequenz aus der allgemeinen Theorie funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung: daß eine Direktsteuerung eines Funktionssystems durch ein anderes ausgeschlossen ist, daß aber zugleich die wechselseitige Irritabilität zunimmt" (Luhmann 1995,S.9).