Der Formbildungsprozess

Aufbauend auf die systemtheoretischen Begriffe Element, Medium und Form stellt sich die Frage nach dem architektonischen Formbildungsprozess.  Wie läuft der Formbildungsprozess ab, was macht der Architekt, wenn er eine lose Kopplung in eine feste Kopplung überführt, wenn er eine Form in einem Medium hervorbringt, d.h. wenn er entwirft? Dieser Formbildungsprozess kann als ein zweistufiger Selektionsprozess dargestellt werden. Bei der ersten Stufe handelt es sich um das Hin- und Herwechseln zwischen Schließung und Öffnung. Dieser Akt beschreibt die Selbstreferenz der Architektur. Die zweite Stufe wird unter dem Begriff der Konditionierung begriffen. Unter der Konditionierung der Selektionsvorgänge beim Formbildungsprozess der Architektur werden alle Möglichkeiten verstanden, den Umgang mit der Selbstreferenz der Architektur, also mit der Formbildung im Medium der Abschirmungen, an Fremdreferenzen zu binden. Ohne diese Konditionierung würde die Selbstreferenz um sich selbst ständig kreisen. Das bedeutet zum einen, daß die Architektur selbstreferentiell für sich selber sorgen kann, aber zum anderen, daß Fremdreferenzen das, " was architektonisch Sinn macht" (Baecker,1990, S.97), an äußere Zwecke v.a. der Brauchbarkeit, der Ästhetik und der Konstruktion binden. In Anlehnung an Vitruv kann man drei Formen der Konditionierung unterscheiden: 

Konditionierung durch Verweis auf Funktionalität, auf Plastizität und auf Solidität.  Jede dieser Konditionierungen  stellt für die Architektur Durchgriffsmöglichkeiten auf das zur Verfügung, was jenseits der Architektur liegt, nämlich auf soziale, auf künstlerische und auf konstruktiv-statische Fragen.

Anknüpfungspunkte

Folgt man dieser systemtheoretischen Beschreibung des architektonischen Entwurfsprozesses und sucht man nach Anknüpfungspunkten, so liegen natürlich zunächst zwei neue Untersuchungsgegenstände auf der Hand:

1. Die Untersuchung, wie Architekten und Stadtplaner es vermieden haben, die Einheit der Differenz von Innen und Außen zu denken und wie doch immer wieder diese Differenz eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen und Theoretisierens gebildet hat. In dem Architektur-Diskurs über das Verhältnis von wird diese Spannung besonders deutlich, da Architekten und Stadtplaner zwischen Öffnung und Schließung lange Zeit gegenläufig asymmetrisiert haben: "Während der Architekt die Öffnung als Negation der Schließung denkt, denkt der Städteplaner umgekehrt die Schließung als Negation der Öffnung. Dem Architekten geht es um die Geschlossenheit eines Gebäudes, dem Städteplaner um die Offenheit des Stadtgrundrisses".

2. Die Untersuchung, wie Architekten und Stadtplaner heute versuchen, die Einheit der Differenz von Innen und Außen zu bauen. Gestellt ist wird hiermit die Frage nach dem sinnlichen Erscheinen einer Architektur, die gegenüber ihrer Selbstreferenz plastisch ist. 

Das Labyrinth ist die Urform einer solchen Architektur. Es setzt die Unterscheidung von Innen und Außen und lässt sie gleichzeitig kollabieren: "Einmal im Innern des Labyrinths, wird dem, der den Ausweg sucht, jedes vermutete Außen immer wieder neu als Innen vorgeführt. Dies geschieht so radikal, daß die Unterscheidung zwischen Innen und Außen schließlich als aufgehoben gelten muss und etwas anderes an die Stelle ihrer architektonischen Reflexion treten muss: der Wollfaden. Ohne den Wollfaden wird das Labyrinth zum Grab, zu einem Innen, das man nicht mehr verlassen kann, in einem Außen, zu dem es keinen Zugang gibt. Im Labyrinth wie auch im Grab kann man sich das Geheimnis der Architektur aufbewahrt vorstellen (Baecker 1990, S.85).