VOM WERKZEUG UND SPIELZEUG - ADOLF BEHNE

Einer der ersten, der diese Entwicklungen der modernen Architektur und des modernen Städtebaus kritisch verfolgt und begleitet hat, ist der Architekturkritiker Adolf Behne. In seinem 1923 verfassten und 1926 erschienenen Buch "Der moderne Zweckbau" werden sowohl die Notwendigkeit des Funktionalismus als auch seine Schranken aufgezeigt. Schon am Beginn des funktionalistischen Bauens also wird hier von Adolf Behne eine differenzierte Kritik mit Bewertungsmaßstäben durchgeführt, die mit dieser Qualität erst wieder in den 60er Jahren aufgenommen wurden - entsprechend ist der Neudruck des Buches auch aus dem Jahr 1964.

In seinen ersten beiden Kapiteln " Nicht mehr Fassade - sondern Haus" und "Nicht mehr Haus - sondern geformter Raum" zeichnet er die ersten Entwicklungstendenzen des funktionalistischen Bauens mit Hilfe einiger bekannter Gebäude nach und streicht dabei die Notwendigkeit einer solchen Entwicklung heraus.

In seinem dritten Kapitel "Nicht mehr geformter Raum - sondern gestaltete Wirklichkeit" nimmt nun Behne verschiedene Abgrenzungen, begrifflicher und inhaltlicher Art, bezüglich des Funktionalismus vor. Zunächst geht es um die Abgrenzung des Funktionalisten zum Utilitaristen: 

"Dem Funktionalisten handelt es sich um die Lösung einer allgemein bedeutsamen Aufgabe unserer Kultur, und während der Utilitarist nur fragt: "Wie handle ich in diesem Falle am praktischsten?", fragt der Funktionalist: "Wie handle ich prinzipiell am richtigsten?" (S.44).

Behne unterscheidet hierbei deutlich zwischen Zweck und Sinn: "Der Utilitarist, der unbedingt alle Erscheinungen aus dem Zweck ableiten möchte, erreicht das in vielen Fällen nur durch eine unerlaubte Gleichsetzung von "Zweck" und "Sinn", so etwa, wenn er behauptet, auch die Kontextualisierung in prähistorischen Höhlen hätten ihren "Zweck". Sie haben allerdings ihren "Sinn", nicht aber einen "Zweck" " (S.44).

Aber auch dem Funktionalisten werden seine Grenzen aufgezeigt: "Der Funktionalist in letzter Konsequenz würde das Haus zu einem reinen Werkzeug machen" (S.44), und "das Bedenkliche eines die letzten Konsequenzen ziehenden Funktionalismus liegt in der zugespitzten und überspitzten Individualisierung seiner Körper" (S.45).

Diese Idee erschwert die Entstehung einer großen Einheit aus mehreren Körpern - der Stadt. Der konsequente Funktionalismus hat also seine Schwachstelle gerade in der Beziehung zwischen dem Haus und der Stadt: "Wenn der Leitfaden für die Bildung eines Hauses also nur die beste Funktionenerfüllung ist, so endet die Sorgfalt der 

Rücksichtnahme auch bei diesem Hause an seinen vier Wänden" (S.46). Auch die Idee des Organischen hilft hier nicht weiter, denn "das Haus steht fest auf seinem Platze, in einer dauernden Umgebung, und kann die Zeit immer nur erdulden, niemals schaffen" (S.46). Die Frage, wie man zu dem Ganzen einer Stadt kommt, bleibt ungelöst: "So bleibt man skeptisch, solange das Rätsel nicht gelöst ist, wie ein Ganzes werden soll aus Elementen, die nur sich, nicht dieses Ganze wollen" (S.47). Adolf Behne spitzt sogar noch weiter zu: "Die Erwägungen des Funktionalisten sind richtig, solange es um das einzelne geht - und werden falsch, sobald es sich um ein Zusammen handelt" (S.50). Das konsequent funktionalistische Haus ist durch seine Einmaligkeit in Raum und Zeit und seine Persönlichkeit nicht mehr offen für Dauer, Wandel und Vielheit - dieser Gedanke wird später bei Aldo Rossi  wiederzufinden sein.

Adolf Behne folgert daraus: "Das Entscheidende ist die Stellung der Gesellschaft! Der Mensch steht zwischen Natur und Gesellschaft. Er entscheidet sich für die menschliche Gemeinschaft und steht dann in einer gewissen Spannung zur Natur. Er entscheidet sich für die Natur und steht in einer gewissen Spannung zur Gesellschaft" (S.50/51).