DAS HAUS UND DIE STADT DIENER UND DIENER 

Rem Koolhaas‘ Entwurfsstrategien resultieren – ähnlich wie bei Colin Rowe – aus einer fundamentalen Kritik an der Planungsideologie der Moderne: "Wir haben heute die Möglichkeit verloren, eine Stadt in ihrer dreidimensionalen Substanz zu planen, sie als Vision zu betrachten, als Modell. Diese Zeit ist für immer vorbei. Man kann nichts mehr bestimmen und verfügen, man kann nur noch versuchen, jene Prozesse regulieren, modifizieren, umlenken, die sowieso stattfinden. Man kann Prozesse nicht blockieren oder in völlig andere Richtungen lenken" (Arch+117, S.30).

Auch für Diener & Diener ist das Problem von Stadtplanung und der Herstellung von Ordnung der Ausgangspunkt ihres Entwerfens: "Es handelt sich um einen Städtebau, der sich der großen bzw. totalen Ordnung verweigert. Eine solche Ordnung ist schwierig geworden; die Verhältnisse sind in der Regel so stark fragmentiert, wirtschaftlich wie auch gesellschaftlich" (Steinmann 1995).

Die Reaktionen von Rem Koolhaas und Diener & Diener auf dieses Planungsproblem sind jedoch fundamental verschieden. Eine Gegenüberstellung der Strategien versucht zum Schluss nochmals die ganze Breite der theoretischen Anstrengungen bei der Klärung des Verhältnisses von Haus und Stadt einzufangen.

Während für Koolhaas bigness "die einzige Architektur ist, die das Unberechenbare meistern kann", ziehen sich Diener & Diener eher auf den entgegengesetzten Pol, nämlich s = small, zurück: "Auf den Punkt, in einem wörtlichen Sinn, kommt der Städtebau dort, wo er einen Ort mit einem Haus in Ordnung bringt" (Steinmann 1995).

Diener & Diener versuchen mit ihren Häusern wieder eine physische Präsenz herzustellen; sie sind hart, schwer, aus Stein oder meist Beton: "... es sind allgemeinere Eigenschaften, die nun zum Ausdruck gebracht werden, Eigenschaften wie Dichte oder Schwere oder ihr Gegenteil, und sie werden in einer Sprache zum Ausdruck gebracht, die auf das äußerste reduziert ist" (Steinmann 1995).

Bei Koolhaas hingegen dominiert ein Gefühl der Flüchtigkeit und Bewegung, denn Orte sind für ihn in erster Linie Knotenpunkte von Informations- und Verkehrsströmen. Die Stadt hat alles Architektonische verloren und besteht aus Programm. Während hier also Koolhaas Venturis Trennung von Zeichen und Programm radikalisiert, gehen Diener & Diener auf Aldo Rossi zurück und stellen wieder die Frage der Stadt als eine architektonische Frage. Stadt besteht deshalb für Diener & Diener in Anlehnung an Rossi aus Konventionen und 

Veränderungen, während Koolhaas den Bruch mit der traditionellen Stadt betont: 

"Durch die Modernisierungsprozesse wird der ganze Anspruch des Kontextualismus unsinnig. (..) Bei unserem Projekt für die französische Nationalbibliothek haben wir bewusst darauf verzichtet, eine explizite kontextuelle Beziehung zur existierenden Stadt herzustellen" (Arch+117).

Koolhaas‘ Vorstellung von Pluralismus besteht in einem unvermittelten Nebeneinander vieler verschiedener Objekte. Das Vorhandensein einer pluralistischen Gesellschaft, in der es verschiedene Vorstellungen von Ordnung gibt, die sich ständig ändern, führt bei Koolhaas eher zu einem Akzeptieren von Nicht-Ordnung, einem laisser-faire, während Diener & Diener sich bewusst auf die verschiedenen bestehenden Ordnungen einlassen und versuchen den Veränderungen Rechnung zu tragen, ohne daraus das Recht zum anything abzuleiten: "Ich denke, daß es möglich ist, eine Ordnung zu schaffen, ohne sie zeitlich über den gegebenen Fall auszuweiten. (...) Diese Ordnung ist eine relative, im wörtlichen Sinn eine Ordnung, die sich auf die Beziehung zwischen Bauten stützt. Ich schlage dafür den Ausdruck Konstellation vor. Er bezeichnet in diesem Fall eine Versammlung von Häusern" (Steinmann 1995).