DIE ARCHITEKTUR DER STADT - ALDO ROSSI

In der Proklamierung der "Auflösung der Städte" (Bruno Taut), dem "Organischen Städtebau" (H. Reichow) und dem "Kollektivplan" (H. Scharoun) zeigte sich fortlaufend die von Adolf Behne kritisierte Unfähigkeit eines konsequenten Funktionalismus, eine Beziehung zwischen dem Haus und der Stadt herzustellen. Erst 1966 entdeckt Aldo Rossi mit seinem Buch "L’Architettura della Citta" (dt. 1973, Die Architektur der Stadt. Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen) die Architektur für ihre Stadt wieder. Schon der Buchtitel zeigt an, daß es um die Durchdringung von Architektur und Stadt geht: "Stadt wird in diesem Buch, dessen Gegenstand sie ist, als Architektur verstanden" (S.12).

Wie Alberti und Behne sieht auch Rossi die gemeinschaftsbildende Kraft der Architektur: "Von Anfang an ist sie (die Architektur) ein notwendiger Bestandteil der Kultur und gibt der menschlichen Gesellschaft ihre konkrete Gestalt" (S.12). Diesen Prozess findet man schon bei W.J. von Goethe in seiner "Italienischen Reise" beschrieben, wo es bezüglich des Amphitheaters von Verona heißt: "Wenn irgend etwas auf flacher Erde vorgeht und alles zuläuft, suchen die Hintersten auf alle mögliche Weise sich über die vordersten zu erheben, man rollt Fässer herbei, fährt mit Wagen 

heran, legt Bretter herüber und hinüber, stellt wieder Bänke hinauf, man besetzt einen benachbarten Hügel und es bildet sich in der Geschwindigkeit ein Krater. Kommt das Schauspiel, es sei ein Kampf pp oft an derselben Stelle vor, baut man leichte Gerüste an einer Seite für die, so bezahlen können und das Volk behilft sich wie es mag. Dieses allgemeine Bedürfnis hat der Architekt zum Gegenstand, er bereitet einen solchen Krater durch die Kunst, so einfach als nur möglich und dessen Zierrat das Volk selbst ist".

Die Architektur gibt einer kollektiven Handlung eine Form und wird dann später vom Leben wieder "konsumiert". Architektur ist hier kein Selbstzweck, sondern eher ein Instrument oder Apparat, ein Vehikel für ein Ereignis: "Ich habe mich schon oft gefragt, ob die Individualität eines städtebaulichen Phänomens auf seiner Gestalt, seiner Funktion, seinem Erinnerungswert oder auf noch etwas anderen beruht. Aus unseren bisherigen Darlegungen geht nun hervor, daß ausschlaggebend für diese Individualität ein Ereignis oder Erlebnis und das Zeichen sind, durch das sie fixiert wurden" (S.93).

Für Rossi ist es nun aber entscheidend, daß bestimmte "Vehikel" ihr Ereignis überdauern, daß das Gebäude bestehen bleibt, obwohl die alte Funktion nicht mehr vorhanden ist und sogar eine neue Funktion das Gebäude 

aufgenommen hat. Er lehnt den naiven Funktionalismus, nach dem ein Gebäude für einen bestimmten Zweck geplant und errichtet wird, strikt ab: "Ich möchte deshalb behaupten, daß eine funktionale Deutung städtebaulicher Elemente nicht nur zu keiner Klärung führt, sondern vielmehr von der Untersuchung der Formen abhält und die Erkenntnis der wirklichen architektonischen Gesetze verhindert. (...) Was ich ablehne, ist lediglich die naive Konzeption des Funktionalismus, derzufolge die Funktionen die Form und damit eindeutig Städtebau und Architektur bestimmen" (S.29). Statt dessen entwickelt er eine Theorie der Permanenz, die besagt, daß bestimmte Gebäude ihre Form bewahren, obwohl ihre Funktionen sich im Laufe der Zeit ändern: "In Wirklichkeit aber bleiben auch städtebauliche Phänomene für uns von Bedeutung, deren Funktion längst erloschen ist. Diese Bedeutung beruht ausschließlich auf ihrer Gestalt, die ein konstanter Bestandteil der gesamten Stadtgestalt ist" (S.45). Diese Gebäude bezeichnet Rossi als primäre Elemente der Stadt, die öffentlichen Baudenkmäler: "Die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit aber findet ihren dauerhafteren Ausdruck in den Baudenkmälern einer Stadt. Als primäre Elemente der Stadtarchitektur sind sie Zeichen des Kollektivwillens und stellen als solches Fixpunkte in der städtebaulichen Dynamik dar" (S.14).