Rückgriff_2:

Das Material für die systemtheoretische Annäherung sind meine eigenen Studienarbeiten aus dem Hauptstudium. Deshalb habe ich als zweites Referenzprojekt Aldo Rossis Wissenschaftliche Selbstbiographie aus dem Jahr 1981 gewählt.

Auszüge aus: Aldo Rossi, Wissenschaftliche SelbstbiographieIn diesem Buch versucht der italienische Architekt Aldo Rossi eine Rekonstruktion der Genese seines eigenen Werkentwurfes anhand von biographischen Ereignissen. Dabei bildet die "Wissenschaftliche Selbstbiografie" von Max Planck den wichtigsten Bezugspunkt für Aldo Rossi. In diesem Buch wendet sich Max Planck zu den Entdeckungen der modernen Physik zurück und erinnert sich an den Eindruck, den ihm die Formulierung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie machte. Dieses Gesetz schien ihm stets verbunden mit einer Schilderung seines Schullehrers Müller: diese handelt vom Maurer, der unter großem Kraftaufwand einen Steinblock auf ein Hausdach hebt. Planck beschäftigte die Tatsache, dass die verausgabte Arbeit nicht verloren ist; sie bleibt für viele Jahre uneingeschränkt im Steinblock latent erhalten, bis sich dieser eines Tages vielleicht löst, auf den Kopf eines Passanten fällt und diesen tötet. Rossi versteht die im 

Steinblock eingeschlossene Energie metaphorisch als die Möglichkeit eine Erfahrung an den Dingen zu machen. Wie die Energie im Steinblock ist die Erfahrung in den Dingen eingeschlossen und Rossi versucht diese Erfahrung retrospektiv herauszuarbeiten und darzustellen: "Um jedoch die Architektur zu begreifen, muss ich die Dinge und die Empfindungen wiederholen, sie beschreiben oder doch nach einer Möglichkeit ihrer Beschreibbarkeit suchen" [15:9]. Rossi begibt sich so auf eine phänomenologische Suche nach den biographischen Ereignissen, die eine Relevanz für seinen Werkentwurf darstellten und immer noch darstellen. Er versucht seine Erfahrung zu beschreiben, die er bei der Wahrnehmung von Gebäuden, Städten, Landschaften und Kunstwerken, ebenso wie durch das Lesen von Architektur- und Kunsttraktaten oder anderer Literatur, oder durch das Hören von Vorträgen gemacht hat. Immer unter dem Gesichtspunkt der Relevanz für sein eigenes Arbeiten, seinen Werkentwurf: "Dieses 'Klirren'  hat mich in Hölderlins Gedicht Hälfte des Lebens stets beschäftigt. Auch dieser Titel schien mir eine Voraussetzung der Spannung. Die Eisenfahnen, die Hölderlin nie gezeichnet hat, sind in meine Zeichnungen eingegangen, und auch auf die insistierendesten Fragen weiß ich keine Antwort. Die letzte Strophe: "Die Mauern stehn/ sprachlos und kalt, im Winde/ klirren die Fahnen" übertrug ich für meine Architektur. Eine Vorlesung in Zürich schloss ich mit diesem Zitat ab, indem ich es mit meinen Entwürfen verband. "Meine Architektur steht sprachlos und kalt" [15:75/76].

In meiner Diplomarbeit geht es nicht um eine Rekonstruktion der Genese meiner Entwürfe als Selbstzweck, sondern um eine Anwendung meiner Entwürfe, mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten - ich werde in der Durchführung darauf zurückkommen. Die Anwendung meiner Arbeiten setzt aber einen selbstreflexiven Akt voraus. Aldo Rossis Wissenschaftliche Selbstbiographie ist gerade deshalb ein Referenzprojekt, weil es diesen selbstreflexiven Akt mit einer phänomenologischen Suchbewegung in der Biographie anschaulich macht. Was Aldo Rossi dabei nicht bewerkstelligen kann oder will, ist die Reflexion dieser Selbst-Reflexion. Diese Meta-Reflexion ist für Rossi jedoch uninteressant, denn sein so gefundener Werkentwurf ist für ihn endgültig und abgeschlossen. Aber ohne eine solche Meta-Reflexion, ohne eine zweite Ebene, die jenseits der rein biographischen, subjektiven Ebene eine begriffliche, abstrahierende, die Arbeit als Ganzes reflektierende Ebene für den Leser Anknüpfungspunkte bereitstellt, bleibt die Arbeit für den Leser unanwendbar und die Architektur verflüchtigt sich zu einer subjektiven Vorstellungswelt.