Vorwort zu: Niklas Luhmann, Die Kunst der GesellschaftIn ähnlicher Weise geht auch Niklas Luhmann vor: Es entspricht seiner Theoriekonstruktion, in der "Kunst der Gesellschaft" das Ornament als Verfahren vorzustellen, nach dem Kunstwerke verfasst und beobachtet werden können aber damit gleichzeitig auch eine generelle Beschreibung der Gesellschaft zu verbinden. So untersucht er in seinen Büchern "Das Recht der Gesellschaft", "Die Wissenschaft der Gesellschaft" oder "Die Wirtschaft der Gesellschaft" zwar je einzelne Teilbereiche der Gesellschaft, aber immer eingeordnet in seinem Gesamtunternehmen "Theorie der Gesellschaft". In der funktional differenzierten Gesellschaft produziert jedes Funktionssystem Selektionen nach Maßgabe der eigenen Unterscheidungen und toleriert eine sehr komplexe Umwelt - unter der Voraussetzung, daß die anderen Funktionen auch erfüllt werden. Das bedeutet, daß die Funktionssysteme nicht nur unerlässlich autonom operieren, sondern auch auf eine enge Weise interdependent sind. In unserem Fall könnte man also die Verfasstheit der Gesellschaft als ornamental begreifen, oder besser formuliert: Die Dynamik, die Prozesse innerhalb der Gesellschaft sind ornamental verfasst.

Lassen Sie mich diese theoretische Ausgangslage mit meiner Website ORNAMENTALES ENTWERFEN zusammen bringen und zwar mit ihrem Medium, 

dem Computer. Die Verbindungslinie ist offensichtlich: Die Rechenoperationen des Computers basieren auf rekursiven Prozessen und weisen dadurch eine direkte Verwandtschaft zu ornamentalen Prozessen auf, wie ich sie vorher oder in meiner Website beschrieben habe. Daraus ergibt sich natürlich die Fragestellung, in wie fern der Computer nicht die gesamte Entwurfsleistung selbst übernehmen kann. Experimente, eine solche "Evolutionary Architecture" zu generieren, reichen einige Jahre zurück. Auf Grundlage von sogenannten genetischen Algorithmen, einem Computerverfahren, das auf die Strategien der Evolution, also auf Selektion, Mutation und Rekombination, zurückgreift und vor allem in der künstlichen Intelligenz Anwendung gefunden hat, werden dabei autopoietische Systeme modellhaft nachgebildet und visualisiert.

Vorwort zu: G. Schmitt, Information Architecture und WebadressenSolche Experimente, die auf einen langen Vorlauf v.a. am Massachusetts Institute of Technology (MIT) seit den 70er Jahren aufbauen können, lassen Gerhard Schmitt von der ETH Zürich in seiner jüngsten Veröffentlichung "Information Architecture" konstatieren: "In 1946 Sigfried Gidion described time as the 4th dimension of architecture. Toward the end of the 20th century, information should be declared the 5th dimension of architecture" [17:7]. Der Computer 

wird zum Partner, der in der Lage ist, "Verantwortung zu übernehmen und bestimmte Aufgaben unabhängig auszuführen". So avanciert die Informationsarchitektur unversehens zu einem System höherer Ordnung, das neue Ordnungen hervorbringen kann. Sie ist in die Evolution eingetreten.

Vorwort zu: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Niklas LuhmannDamit bin ich bei der Frage angelangt, ob der Computer in der heutigen Gesellschaft die Integrationsleistung übernehmen kann, die in früheren Gesellschaften dem Ornament zukam. Mit dieser Frage kehre ich zu Niklas Luhmann zurück, denn - ohne eine Medientheorie explizit herausarbeiten zu wollen - muss hier aber doch in aller Kürze die Sonderrolle des Computers in seiner Theorie der Gesellschaft angesprochen werden, zumal sie die oben angesprochenen Entwicklungen im CAAD-Bereich noch radikalisieren: "Das Problem wird falsch gestellt und wohl auch verharmlost, wenn man fragt, ob Computer bewusstseinsanalog arbeitende Maschinen sind und Bewusstseinssysteme ersetzen oder sogar überbieten können. Auch kommt es nicht darauf an, ob die internen Operationen des Computers wie Kommunikationen aufgefasst werden können" [13:117].